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Villen, Handelshäuser, Völkerschauen: Hamburgs koloniales Erbe

Jahrhundertelang lieferten Kaufleute aus Hamburg exotische Waren aus allen Teilen der Welt nach Europa. Zucker, Tee, Kaffee, Kakao, Baumwolle, kurz: Güter, die im Alltag, in Küchen und Kleiderschränken der Deutschen unentbehrlich wurden  – und die dabei nicht selten auf denselben Schiffen transportiert wurden, auf denen Hamburger Reeder auch Sklaven aus Afrika nach Südamerika oder Anfang des 20. Jahrhunderts kaiserliche Schutztruppen nach Namibia transportierten. Begleitend zur 45. Abo-Postkarte zeige ich Euch Orte in der Hansestadt, an denen der Kolonialismus bis heute Spuren hinterlassen hat.

1. Das Afrika-Haus: Sitz des Woermann-Konzerns

Warum stehen zwei Elefanten in einem Hinterhof der Großen Reichenstr. 27? Sie erinnern an einen Hamburger Kaufmann, der vor allem mit dem Handel auf dem afrikanischen Kontinent reich geworden war: Adolph Woermann (1847-1911) wurde bekannt für einen lukrativen, aber fragwürdigen Tauschhandel: Schnaps gegen Elfenbein, Kautschuk und Palmöl. Seine Rohstoffe ließ er sich von Einheimischen, die er zuvor alkoholabhängig gemacht hatte, zu seinen Faktoreien an der Westküste Afrikas bringen.

Als Adolph Woermann die Firma 1880 vom Vater übernahm, setzte er zudem voll auf die Dampfschifffahrt und war bald auch als Reeder erfolgreich. Dabei profitierte er außerordentlich vom Kolonialkurs des deutschen Reiches. Die „Woermann-Linie“ beförderte 1904 während des deutschen Völkermordes an den Herero nahezu den gesamten Nachschub an Truppen, Ausrüstung und Pferden zur afrikanischen Küste. So konnte Woermann kriegsbedingte Gewinne in Millionenhöhe verzeichnen.
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Das 1899 von Stararchitekt Martin Haller entworfene Afrikahaus in der Großen Reichenstraße erinnert noch heute an den Reeder und Kaufmann: Auch die Statue eines afrikanischen Kriegers am Eingang fällt ins Auge. Interessant ist auch ein Treppenhaus, das man durch das Elefantenportal betritt. Immer noch gehört das Gebäude der Firma Woermann – und diese verdient ihr Geld bis heute … mit dem Exporthandel nach Afrika. Die Räumlichkeiten des Afrikahauses werden jedoch auch an weitere Unternehmen und Agenturen vermietet.

Wenn Euch das Thema Kolonialismus und insbesondere der Hamburger Kaufmann Woermann interessieren, hört Euch unbedingt die Folge „Unternehmen Weltaneignung – Der Woermann-Konzern und der deutsche Kolonialismus“ des Podcasts „Anno PunktPunktPunkt“ an:

2. Das Bismarck-Denkmal: 625 Tonnen Granit im Elbpark

Handshake im Jahr 1906: Die Ingenieure Strieder und Klemann vor dem Kopf des Bismarck-Denkmals .​​​​​​​.. 34 Meter hoch, aus Granit, mit Umhang und Schwert. So steht Bismarck, der eiserne Kanzler, heute immer noch im Elbpark am Hafen. Erst kürzlich ist das Denkmal für 9 Millionen Euro saniert worden. Doch wegen der Verstrickungen Bismarcks in den Kolonialismus ist der Koloss seit längerem schon in die Diskussion geraten. Bismarck galt zwar vor allem anfangs als Gegner eines deutschen “kolonialen Abenteuers” und glaubte nicht an die wirtschaftlichen Verheißungen überseeischen Besitzes. Dennoch ließ er schließlich Gebiete in Afrika und Asien unter deutschen “Schutz” stellen und wurde somit nicht nur zum Begründer des deutschen Kolonialreiches, sondern auch zu einer zentralen Figur bei der “Aufteilung” Afrikas. Hamburg suchte deshalb lange nach Wegen, Bismarck vom Sockel zu heben, ohne das Denkmal im Elbpark zu zerstören.​​​​​​​​

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So gab es viele Ideen und Vorschläge, wie etwa, den Kopf abzumontieren und ihn einfach neben dem Denkmal zu präsentieren… Doch bisher hat der Koloss allen Versuchen getrotzt, ihn umzugestalten – bis auf die Graffitis, die den Sockel nahezu immer bedecken. Womit wir bei einem weiteren, eher unbekannten Thema wären: In den Sockel-Katakomben des Denkmals ließen die Nazis 1939 einen Luftschutzbunker einbauen. Dieser ist heute nicht mehr öffentlich zugänglich. Doch es gibt im Netzt mehrere 3-D-Modelle des Sockels, u.a. vom Verein Hamburger Unterwelten e.V., in denen man sich virtuell durch das Gewölbeinnere bewegen kann. Wandbilder zeigen Zitate von Bismarck, ergänzt um völkisch-nationale und nationalsozialistische Symbole. Ich habe vor kurzem ein kleines Video dazu auf Instagram gepostet:

 

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Ein Beitrag geteilt von Susanne I HAMBURG (@frau_elbville)

PS: Hamburger Unterwelten e.V. weisen darauf hin, dass das Zeigen der Aufschriften und Darstellungen auf der Website ausschließlich dokumentatorischen Zwecken gilt. Der Verein distanziert sich ausdrücklich von jeder Art von Gewalt, Revisionismus, Rassismus und jeder extremistischen Gesinnung. Ich hiermit natürlich auch.

Hier könnt Ihr Euch selbst durch den Sockel der Bismarck-Statue bewegen!

3. Ahrensburger Schloss: Wo einst ein Sklavenhändler residierte

Frederiksborg, Nationalhistorisches Museum

Das Ahrensburger Schloss vor den Toren Hamburgs ist ein hübsches Museum. Dafür dürfte einem sein einstiger Besitzer, Heinrich Carl von Schimmelmann, den Ihr oben auf dem Gemälde seht, weniger sympathisch sein. Zumindest, wenn man weiß, womit er sein Vermögen machte … Schimmelmann, geb. 1724, war ein Hamburger Kaufmann und einer der reichsten Männer Europas, dem neben dem Ahrensburger Schloss auch ein nicht mehr vorhandenes Schloss in Wandsbek gehörte – beide befanden sich damals noch auf dänischem Gebiet.

Schimmelmann kaufte sich damals auch mehrere Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen auf Inseln im ehemals Dänisch-Westindischen Teil der Karibik. Er besaß zudem ca. 1000 aus Westafrika verschleppte Sklaven, die auf seinen Plantagen schuften mussten und auf Namen wie “Copenhagen”, “Plön” und “Wandsbek” hörten. Außerdem besaß Schimmelmann Schiffe, mit denen er über Hamburg Alkohol, Waffen und Stoffe nach Afrika und von dort Rohstoffe und Sklaven in die Karibik sowie nach Nordamerika brachte. Aus der Karibik verschiffte er Zuckerrohr und Baumwolle zurück nach Hamburg/Europa. Graf Schimmelmann war somit einer der Profiteure des berüchtigten “Atlantischen Dreieckshandels”. Im Schloss wird dieses Kapitel zwar thematisiert – aber etwas sehr versteckt und ziemlich knapp, wie ich finde. Der Fokus des Museums liegt auf der historischen Inneneinrichtung und dem Lebensstil vergangener Schlossbesitzer.

In Hamburg-Wandsbek befindet sich ganz in der Nähe der Christuskirche immer noch das Mausoleum von Heinrich Carl von Schimmelmann. Gegenüber dem Rathaus von Wandsbek stand zudem bis Mitte 2008 auch eine Schimmelmann-Büste. Doch nach Protesten und zwei Beschmierungen mit Farbe durch Unbekannte entschied die Bezirksversammlung Hamburg-Wandsbek, das Denkmal wieder entfernen zu lassen.
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4. Hagenbeck: Von Völkerschauen und Menschenzoos

CC BY-SA 3.0 de / Bundesarchiv Bild 183-R52035 ​​​​​​​​

1907 eröffnet der Hamburger Tierhändler und ehemalige Zirkusdirektor Carl Hagenbeck den ersten “modernen” Zoo der Welt, in dem die Besucher von künstlichen Felsen blicken können. Tiere sind jedoch nicht das einzige, was sie im Zoo beobachten… ​​​​​​​​Bereits Mitte der 1870er-Jahre hatte Hagenbeck auf dem Neuen Pferdemarkt neben Seehunden, Löwen und Elefanten auch Inuit, Lappländer und Nubier in sogenannten “Völkerschauen” auftreten lassen – ein kommerzieller Erfolg, der den Geschäftsmann bewog, “exotische” Menschen künftig auch im neuen Tierpark in großem Stil zu präsentieren. ​​​​​​​​


​​​​​​Für seinen Menschenzoo verschiffte Hagenbeck beständig Männer, Frauen und Kinder gemeinsam mit Tieren nach Hamburg, wo er imaginäre „Zoo-Lebenswelten“ schuf, in denen die “Menschenfresser” und “Wilden” in eingezäunten Gehegen begafft werden konnten.

Besonders viel Geld ließ sich mit entblößten Frauen, Schwangeren oder Menschen mit physischen Besonderheiten verdienen. ​​​​​​​​Sogar Kaiser Wilhelm besuchte den Zoo:

Louis Held, um 1907, PUBLIC DOMAIN / Museum für Kunst und Gewerbe​​​​​​​​

Aber auch viele Wissenschaftler kamen zu Hagenbeck, um die dort ausgestellten Menschen zu untersuchen und zu vermessen, um Daten für eine kolonialistische Rassenlehre zu sammeln, die dem weißen Europäer bekanntlich einen Ehrenplatz zuwies. ​​​​​​​Bis heute verweigert die Familie Hagenbeck eine öffentliche Aufarbeitung dieses finsteren Kapitels. Geschäftsführer Carl Hagenbeck äußert sich nicht und wiegelt ab – was auch ein interessanter Panorama-Beitrag mal wieder deutlich macht, den Ihr hier in der NDR-Mediathek abrufen könnt. ​​​​​​​​​​​​​​​​

 

5. Chile-Haus: Die Backstein-Ikone des Salpeter-Barons

Das Chilehaus als Ikone des Backstein-Expressionismus wurde vom Architekten Fritz Höger entworfen und 1924 fertig gestellt. Dieses Jahr wird das Chilehaus somit 100 Jahre alt. Aus diesem Anlass startet diesen Sommer ein vielfältiges Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm des “Deutschen Hafenmuseums”  und des “Museums am Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt” (MARKK). Ab 24. Mai zeigt das MARKK dabei auch eine Sonderausstellung: “Weißes Wüstengold. Chile-Salpeter und Hamburg”. Was das mit dem Chilehaus zu tun hat? Der Bauherr, Henry B. Sloman, war Hamburgs genannter “Salpeterbaron”, sein großer Reichtum gründete auf dem Rohstoffabbau in Chile. Die Ausstellung beleuchtet die damals unglaublich harten Lebens- und Arbeitsbedingungen der meist aus armen Bergdörfern stammenden Salpeter-Arbeiter:innen in der chilenischen Atacama-Wüste, der trockensten Wüste der Welt. Sloman zahlte ihnen kein echtes Geld, sondern eigens gedruckte Münzen, die man wiederum nur in seinen Minen einlösen konnte.

Chilenisches Graffiti: Streikende Salpeterarbeiter, rechts eine Schule, in der 1907 ein Massaker stattfand, bei dem mehr als 2.000 Menschen ermordet wurden. (Quelle: Wikipedia)

Die Ausstellung schlägt auch einen Bogen in die Gegenwart, da dort heute auch das Lithium für unsere E-Mobilität abgebaut wird – das neue “Weiße Wüstengold”. Ich empfehle Euch außerdem auf der Website “Die Chilehaus-Saga” von Irmelin Sloman vorbeizuschauen, der Urenkelin Henry B. Slomans, auf der sie mit unzähligen alten, wiedergefundenen Fotografien rund um das Chilaus die Handelswelt ihres Großvaters wieder aufleben lässt.

Wie eine Galionsfigur klebt an der bug-artigen Spitze des Gebäudes ein Vogel. Man könnte meinen, es sei ein Reichsadler. Aber tatsächlich ist es ein Andenkondor,  der symbolisch auf das von Sloman abgebaute „weiße Gold“ aus dem Andenstaat verweist, das im 19. Jahrhundert weltweit zum unverzichtbaren Rohstoff für die Herstellung von Düngemitteln, Sprengstoffen oder Farben wurde.

 

6. Die Villa des Südseekönigs

Zum Hirschpark von Dockenhuden gehört eine weiße Villa mit Säulen. Im 19. Jahrhundert wohnte darin ein Kaufmann, der “König der Südsee”, der sein Geld mit Auswandererschiffen und Südseehandel verdiente. Johann Cesar Godeffroy hielt sich in seinem Refugium weit draußen an der Elbe Hirsche, Enten und Rebhühner. Doch er leistete sich im Alten Wandrahm, bevor dort die Speicherstadt emporwuchs, auch ein privates Naturkunde-Museum. Dafür stellte er eigene Naturforscher an, die in entlegenen Ecken der Welt Artefakte und Kuriositäten für ihn sammelten. Als sei das nicht schon ungewöhnlich genug, befand sich unter diesen Forschern auch eine Frau: Amalie Dietrich. 1852 stach sie von Hamburg aus nach Australien in See, um ein Jahrzehnt lang Naturalien in Godeffroys Museum zu schicken.

In ihren Kisten befanden sich allerdings nicht nur Pflanzen und Tiere. Leider hat sie den Kaufmann auch mit menschlichen Schädeln, Skeletten und der Haut eines Aborigines beliefert – es handelte sich um sehr seltenes, aber heißbegehrtes Forschungsmaterial, mit dem damalige europäische Wissenschaftler wie Rudolf Virchow, ein Freund Godeffroys, ihre Rassenlehren untermauern wollten. Amalie Dietrich reiste für ihren Hamburger Auftraggeber auch nach Samoa, von wo sie ethnografische Fotografien mitbrachte – damals ebenfalls eine Rarität:

Ende des 19. Jahrhunderts ging „der König der Südsee“ pleite. Sein Museum musste er verkaufen. In seiner Villa befindet sich heuZu Cesar Godeffroy gibt es außerdem ein interessantes Buch von Gabriele Hoffmann: „Das Haus an der Elbchaussee“ (Thalia). Darin beschreibt sie auch das unheimliche Museum des Kaufmanns. Der Park mit einer jahrhundertealten Allee aus Linden ist seit 1927 öffentlich zugänglich. Zahlreiche Ausstellungsstücke befinden sich heute im GRASSI Museum für Völkerkunde in Leipzig. Wer sich speziell für Amalie Dietrich interessiert, findet hier einen Artikel aus dem Hamburger Abendblatt. Einen tollen, sehr ausführlichen Podcast zu ihrer Person verlinke ich hier außerdem:

 

PS: Ist Euch diese Namensänderung aufgefallen?

Bis vor einiger Zeit gab es einen urig aussehenden “Kolonialwarenladen” in der Deichstraße.

Inzwischen hat ihn der Betreiber umbenannt:

Und dass sicher nicht nur, weil es in dem Laden längst keine Kolonialwaren mehr gibt. Zum Glück bekommt man aber immer noch leckeren Kaffee (ich weiß nicht genau, ob er inzwischen sogar “Fair Trade” ist). Dazu Schokolade und andere Süßigkeiten, Stullen und Kuchen. Der Besitzer sammelt zudem alte Blechdosen, die er in seinen Regalen ausstellt. Und wenn man ihn ganz nett fragt, erzählt er einem vielleicht sogar etwas zu dem einen oder anderen Exemplar.

… und hier noch zwei Buchtipps:

  1. Dietmar Pieper: Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche – Wie hanseatische Kaufleute Deutschland zur Kolonialherrschaft trieben. Kaufen könnt Ihr es z.B. hier.

2. Jürgen Zimmerer, Kim Sebastian Todzi (Hrsg.): Hamburg: Tor zur kolonialen Welt. Bestellbar hier.

 

Wie immer könnt Ihr Euch auch die Postkarte #45, die das Wasserschloss in der Speicherstadt zeigt, hier herunter laden! Die Speicherstadt, die Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurde, gilt als das Herzstück der kolonialen Wirtschaftsmetropole Hamburg.

Liebste Grüße und ein riesiges Dankeschön für Euren Support!

Eure Frau Elbville

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