Ein schräger Vogel unter Pfeffersäcken: Wer war Ida Dehmel (1870-1942)?
Muse, Mäzenin, Frauenrechtlerin. In Blankenese schafft Ida Dehmel nach der Jahrhundertwende gemeinsam mit ihrem Mann, einem Dichter, ein avantgardistisches Künstlerhaus, in dem Prominente wie Thomas Mann, Max Liebermann und Richard Strauss zu Gast sind – ein schillerndes Leben, das 1933 ein jähes Ende nimmt.
Text: Frau Elbville
Ida Dehmel, eine Winzertochter aus Bingen am Rhein, zieht erst im Alter von 31 Jahren nach Hamburg. Es ist das Jahr 1901, Ida ist frisch von dem Berliner Kaufmann und Konsul Leopold Auerbach geschieden, mit dem sie ihr Vater verheiratet hatte und der nun wegen Verdacht auf betrügerischen Bankrott inhaftiert worden ist. Sie hat Berlin verlassen, wo sie sich als Muse und Betreiberin eines Salons in ihrer Wohnung am Tiergarten einen Namen in der Kunstwelt gemacht hat.
Mit Auerbach hat Ida einen kleinen Sohn: Heinz Lux. Der bekommt nun einen Stiefvater, denn inzwischen ist Ida wieder verheiratet – mit ihrer großen Liebe, dem ebenfalls geschiedenen Dichter Richard Dehmel, den sie in Berlin kennengelernt hatte und mit dem sie durchgebrannt war. Nachdem das Paar durch Europa gereist ist, zieht es nun nach Blankenese, das damals noch vor den Toren der Stadt liegt. In dem ehemaligen Fischerdorf haben viele Hamburger Kaufleute vornehme Landhäuser gebaut, in denen sie ihre Wochenenden und Sommer verbringen.
Ida und Richard avancieren schon bald zu einem einflußreichen Künstlerpaar. Draußen im feinen Blankenese scharen sie eine große Gruppe von Künstlern um sich, werde zu Wegbereitern der Moderne und würzen das kulturell eher konservative Hamburg mit einer Prise Avantgarde. Die Dehmels sind Trendsetter auf ganzer Linie: Vom Design der Dehmelschen Bücher…
… über die Reform-Kleidung Idas…
…bis hin zur Villa in Blankenese, das ihnen der Architekt Walther Baedeker aus Verehrung auf eigene Kosten gestaltet …
… gleicht das Leben der Dehmels, dieser schrägen Vögel inmitten von Pfeffersäcken, einem Gesamtkunstwerk. Und das zieht die Prominenz an. Thomas Mann, Max Liebermann, Walther Rathenau, Gerhart Hauptmann, Richard Strauss: Sie alle besuchen die Dehmels in ihrer Villa in Blankenese, tauschen sich aus, feiern. Und noch bevor es 1912 fertig wird, ist das Haus der Dehmels zum Inbegriff modernen, kulturellen Lebens geworden.
Ida unterstützt, ermutigt und inspiriert junge Talente, ist 1916 Mitbegründerin des “Frauenbundes zur Förderung deutscher bildender Kunst”. Außerdem ruft sie 1926 den bis heute existierenden Künstlerinnenverband GEDOK ins Leben, der Künstlerinnen aller Sparten und die Kunstförderung vereint. Sie wird eine der am häufigsten fotografierten und gemalten Frauen ihrer Zeit.
Zudem kämpft Ida für das Frauenwahlrecht und engagiert sich für wohltätige Zwecke. Im Januar 1917 fällt ihr Sohn Heinz-Lux aus erster Ehe im 1. Weltkrieg. Sie begräbt ihn im Garten des Dehmelhauses. 1920 stirbt auch ihr Mann an einer Thrombose, die er sich in Folge einer Kriegsverletzung zugezogen hatte.
Nach Richards Tod bewahrt Ida das gemeinsame Haus und gründet eine Stiftung sowie die Dehmelgesellschaft. Doch als Jüdin werden ihr ab 1933 nach und nach alle Chancen und Freiheiten genommen. In einem Brief an eine Bekannte hatte sie bereits 1938 geschrieben: “Marion, ich würde nie auswandern … im Moment in dem ich das Dehmelhaus verlassen muß, mache ich Schluß.” Am 29. September 1942 nimmt Ida sich mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben.
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Das Dehmelhaus könnt Ihr heute noch besuchen! Nach einer Notsicherung finanzierte die Hermann Reemtsma Stiftung zwischen 2014 und 12016 die komplette denkmalgerechte Restaurierung der Villa. Von Frühjahr bis Herbst kann man sich dort für Besichtigungen anmelden.
Wo genau Ihr das Dehmelhaus findet:
Es befindet sich in der Richard-Dehmel-Straße 1 (Google Maps) in Hamburg-Blankenese. Vom S-Bahnhof Blankenese fahren die Buslinien 286 und 189 (Haltestelle Karstenstraße). Karstenstraße ist gleich die erste Bushaltestelle an der Blankeneser Landstraße. Von hier aus sind es noch etwa 3 Minuten Fußweg. Hier geht’s zur Website. Bitte beachtet, dass das Dehmelhaus nur auf Anmeldung oder der im Rahmen besonderer Veranstaltungen zugänglich ist.
Wenn Euch weitere Hamburger Villen mit spannender Geschichte interessieren, schaut gern auch auf diesem Blogbeitrag von mir vorbei: Hamburger Villen mit Geschichte (Teil I): Wer hat sie gebaut und wer lebt heute darin?