Hamburgs Backstein-Expressionismus: 7 Highlights – die Fortsetzung
Hamburger Backsteinarchitektur ist etwas ganz Besonderes. Immer wieder fallen die schlichten und dennoch kunstvollen Bauten ins Auge, die oft parallel zum Bauhaus und der neuen Sachlichkeit in der Hansestadt entstanden sind. Es ist es an der Zeit, Euch wieder einmal einige Beauties aus Backstein vorzustellen, die Ihr Euch unbedingt mal vor Ort anschauen solltet!
TEXT & FOTOS SUSANNE KRIEG
Fifty Shades of Yellow
Früher habe ich gelbe Klinker nicht gemocht – doch dann entdeckte ich die 20er Jahre Siedlungshäuser an der Ohmstraße in Ottensen … Ihre gelben Backsteine leuchten in vielen Formen und Schattierungen. Die Gebäude staffeln sich in mehreren Reihen und bestehen aus 2-Zimmerwohnungen, die der Architekt, Stadtplaner und damalige Bausenator von Altona, Gustav Oelsner, für Arbeiterfamilien entworfen hatte. Mit solchen Bauten verbesserte er die Lebensqualität vieler Menschen. Auch weil er eine “Grünpolitik” vertrat und für Parks und Bäume zwischen den Häuserreihen sorgte.
Gustav Oelsner erging es im Dritten Reich übrigens wie vielen jüdisch-stämmigen Bürgern: Anfang 1933 wurde er von den Nazis mit Berufsverbot belegt. Er emigrierte dann in die türkische Republik. Nach dem Krieg kehrte er in das zerstörte Hamburg zurück, wo er Referent für Wiederaufbau wurde. Oelsner war übrigens eng mit Hamburgs Oberbaudirektor Fritz Schumacher befreundet: Beide waren Junggesellen, echte Backstein-Buddies und sind nebeneinander auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt…
– Ohmstraße (Ottensen) / Google Maps
Kapelle 13 und ein Krematorium
… und wo wir ihn nun schon mal erwähnt haben, gehen wir auch gleich hin: Auf den größten Parkfriedhof der Welt, der sich in Hamburg befindet! Der Ohlsdorfer Friedhof umfasst eine Fläche von 566 Fußballfelder. Und man muss sich schon mehrere Tage Zeit nehmen, um sich das Areal mit seinen Mausoleen, berühmten Gräbern und interessanten Geschichten zu erschließen. Da ich ja ein Faible für Backsteinexpressionismus hege, musste ich mir als erstes die Kapelle 13 ganz am anderen Ende des Parks anschauen (Bild oben) sowie das streng geometrische Krematorium am Eingang:
Beide Gebäude sind von Hamburgs Backsteinpapst Fritz Schuhmacher entworfen worden. Mit ihren Fassaden erinnern sie mich wie das Chilehaus oder der Sprinkenhof an Pullover mit kunstvollen Strickmustern…. Gleichzeitig hat vor allem das Krematorium etwas Düster-Morbides…
– Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Str. 756 / Website / Google Maps
Die Bedürfnisanstalt
Jeder hat ein Bedürfnis… nach Kunst! Dieser “Micro-Ausstellungsraum” bietet Platz für Kunst aller Art und kann für einen Unkostenbeitrag von jeder/jedem gemietet werden. Malerei, Bildhauerei, Fotografie, Lesungen, Performances, Theater und Musik kann man hier präsentieren. Das Gebäude wurde 1928 von Gustav Oelsner entworfen, den wir ja weiter oben schon kennengelernt haben. Jahrelang diente das kleine Backsteingebäude als unterirdische Bedürfnisanstalt mit oberirdischer Wartehalle. Anfang 2008 wurde es zum Kulturraum umfunktioniert. Der soll so unkommerziell weitergeführt wie möglich und ist darum auch auf Spenden angewiesen. Hoffentlich wird das Gebäude bald von den uninspirierten Schmierereien befreit… PS: Falls ihr mal richtig tolle Graffiti-Kunst in Hamburg entdecken wollt, schaut mal in diesen Blogbeitrag:
– Bedürfnisanstalt, Bleickenallee 26a / Website / Google Maps
Die Klinkerburg von Barmbek⠀⠀
Als ich plötzlich vor dieser kunstvoll verzierten Backstein-Wohnburg mit abgerundeten Ecken und leuchtenden Türen in Barmbek-Nord stand, war ich wirklich geflasht. Meine Recherche ergab: Sie wurde Mitte der 1920er Jahre von den Architekten Ernst und Eduard Theil errichtet, Richard Kuöhl entwarf die farbig glasierten expressionistischen Baukeramiken, die man rund um das Gebäude findet: darunter reitende Kinder auf Elbdelphinen oder Wikingerboote. Richard Kuöhl war übrigens auch für die Keramiken der Margarinefabrik verantwortlich, die ich Euch weiter unten noch zeigen werde.
– Barmbek-Nord, Lämmersieth, Wachtelstraße, Adlerstraße, Dohlenweg / Google Maps
Hamburgs Kaffeemühlenhäuser
Die Hamburger Kaffeemühle: ein Traum für viele Wohnungssuchende und Hausbesitzer*innen in spe. Aber was genau verbirgt sich hinter dem Begriff “Kaffeemühle”, abgesehen davon, dass es ein Gerät bezeichnet, mit dem man Kaffeebohnen mahlen kann? Er steht für einen in Hamburg weit verbreiteten Haustypus mit annähernd quadratischem Grundriss, der zu einer würfelartigen Form führt. In der Regel zweigeschossig und mit steilem Zelt- oder Walmdach ausgestattet, erinnert er an die herausziehbare Schublade einer Kaffeemühle. Hamburger Kaffeemühlen waren Ausdruck der neuen Sachlichkeit, die in 1920er Jahren populär wurde. Besonders in den Hamburger Villen-Vororten ließen hanseatische Kaufleute ihre Stadtvillen in diesem schnörkellosen Baustil errichten. Diese hier habe ich z.B. in Blankenese fotografiert.
Die alte Margarinefabrik
Sie stand lange auf meiner Liste – jetzt hab ich sie endlich besucht: die ehemalige Margarine-Fabrik Voss, oder besser: ihr Eingangsportal. Diese expressionistische Klinkerkunst aus dem Jahr 1926 ist mit Ton-Keramiken wie z.B. Zierkacheln und Arbeiterfiguren dekoriert.
Unter der Turmuhr prangt ein riesiger Kuhkopf. Dabei wurde in der Margarinefabrik nie Milch verarbeitet… Der Kopf symbolisiere, so hieß es damals, die „künstliche Kuh“, die nach der Erfindung der Margarine 1871 für preiswertes Streichfett sorgte. Na, ob das die Konsument*innen damals wohl immer verstanden? Wie zur Strafe für diese „Irreführung“ krachte der Kuhkopf 2013 schließlich auf das Vordach. Nun hängt eine Nachbildung an seiner Stelle. Das Original konnte zum Glück repariert werden und schmückt nun die Kundenberatung der Techniker Krankenkasse, die heute in dem Gebäude sitzt. Auch interessant: Anscheinend ist hier irgendwo ein Geocache versteckt – angeblich ist er sogar der drittbeliebteste Geocache der Welt! Ich kenne mich mit Geocaching noch nicht aus. Aber jetzt, wo ich mehr drüber gelesen habe, muss ich mich da wohl mal ein wenig „rein-nerden“. Klingt jedenfalls ganz nach meinem Geschmack.
– Margarinefabrik Voss, Bramfelder Str. 138-140 / Google Maps⠀
Hier geht’s übrigens zu Teil 1 meiner Tipps für Hamburgs Backstein-Beautys!
Du findest diesen Blog hilfreich? Dann werde Mitglied im Elbville-Supporter-Club und erhalte tolle Prämien!
hallo